AIKIDO – Der Weg des mitfühlenden Kriegers

Aikido ist eine Kampfkunst und grenzt sich schon durch den Zusatz „Kunst“ von Kampfsportarten ab, in denen es vornehmlich umgewinnen“ und „verlieren“ geht. Aikido geht aber weit über diese Abgrenzung hinaus, so dass man Aikido eher als Friedenskunst bezeichnen sollte. Es ist ein Weg der Einfühlsamkeit und des Zueinanderfindens.

Das Problem beim Gewinnen ist, dass automatisch jemand anders verliert und diese Niederlage wahrscheinlich als nicht gerade angenehm empfinden wird. Das Resultat ist insgesamt also alles andere als positiv, auch wenn dies vielleicht zunächst nicht auffällt. Es besteht auf jeden Fall die Gefahr, dass der Besiegte mit negativen Gedanken auf Vergeltung aus der Situation heraus geht, langfristig also eigentlich gar nichts gewonnen wurde.

Das Aikido-Paradoxon

Wenn man sich die Kommentare unter Aikido-Videos auf den einschlägigen Plattformen durchliest, stößt man regelmäßig auf Einschätzungen wie „das kann nicht funktionieren, wenn der Gegner nicht mitspielt“, „untauglich für richtige Kämpfe“, usw. Mag alles sein oder auch nicht, aber darauf kommt es meiner Meinung nach überhaupt nicht an, weil diese Denkweise schon wieder in die Falle des „Ich gegen den anderen“ tappt.

Die wahre Frage in Aikido stellt jedoch ein Paradoxon dar und ist für unser norrmales Verständnis von Kampf und Streit scheinbar widersprüchlich. Sie lautet:

Was heißt es zu kämpfen so dass alle gewinnen?

Zur Beantwortung ist es hilfreich sich zunächst klar zu machen, wodurch Konflikte überhaupt entstehen. In jedem Leben gibt es Konflikte mit seiner Umgebung, mit denen man umgehen muss, sei es Konflikte mit anderen Menschen oder auch gar nicht so selten mit sich selbst. Was ist die Ursache dafür? Im Zen sagt man, die Ursache liegt in der Illusion, dass es ein ICH und dem gegenüber ein DU gibt, die voneinander getrennt sind. Gibt man diese Illusion auf, dann verschwindet diese Trennung und damit auch der Konflikt.

Nur, wie soll mal das tun? Zazen, die stille Meditation im Sitzen, ist sicher der direkteste, aber auch ein sehr schwieriger Weg dies zu praktizieren. Aikido bietet die Möglichkeit, über das Studium von Bewegungsabläufen oder Techniken eine ausgeglichene innere Haltung einzuüben. So kann eines der innersten Prinzipien des Aikido realisiert werden, nämlich die Angreifer-Verteidiger-Dualität aufzugeben und in der gemeinsamen Bewegung eine Einheit zu bilden. Dies gelingt jedoch nicht, solange man sich in einem auf bloße Reaktion ausgelegten Verteidigungsmodus befindet oder gar aggressiv zum Gegenangriff übergeht, sondern nur mit einem gegenwärtigen, offenen, wachen, einfühlsamen und aufmerksamen Geist. In scheinbar konfliktträchtigen Begegnungen liegt eine große Chance, Empathie, Mitgefühl, Offenheit, Klarheit, Freundlichkeit und Geduld einzuüben und zum Ausdruck zu bringen.

Deshalb hat Aikido den Sinn, im Falle eines Streits oder Konflikts den Frieden und die Harmonie wieder herzustellen. In dieser Art zu kämpfen geht es nicht darum, jemand anderen zu vernichten oder zu dominieren, sondern um eine Konfliktlösung, und zwar in einer Form, die allen Beteiligten gerecht wird. Damit könnte man auch sagen: es wird niemals ein Gegner besiegt, sondern der Konflikt als solcher wird beendet.

Die beschriebene innere Haltung hat aber auf der anderen Seite nichts damit zu tun, Konflikten aus dem Weg zu gehen und nicht als solche anzunehmen. Normalerweise gehen wir mit Angriffen mit einer, manchmal auch mit einer Kombination aus 4 Grundstrategien vor:

  1. Ignorieren: der sich anbahnende Konflikt wird bewusst oder unbewusst schlicht nicht als solcher wahrgenommen.
    Resultat: man merkt es erst, wenn der sich der Angriff unmittelbar manifestiert. Nur ist es dann häufig schon zu spät etwas zu tun.
  2. Verstecken/Defensive (Igeltaktik): der Konflikt wird wahrgenommen, man versteckt sich, spreizt seine Stacheln nach außen und hofft, dass er einfach an einem vorüber geht.
    Resultat: Erreicht einen der Angriff dennoch, ist man völlig unvorbereitet und kann ebenfalls nur noch wenig tun.
  3. Flucht: man versucht, sich dem Angriff durch Flucht zu entziehen.
    Resultat: häufig wird einen der Angriff
    weiter verfolgen und schlussendlich auch erreichen. Insbesondere die Flucht vor sich selbst wird ziemlich erfolglos bleiben.
  4. Gegenangriff/Eskalation: man versucht den Angriff durch einen größeren Gegenangriff zu neutralisieren.
    Resultat: häufig genug landet man damit in einer Eskalationsspirale, die am Ende zu keinem guten Ergebnis führt –
    für wen auch immer.

Keine dieser Grundstrategien hat sich als langfristig erfolgreich herausgestellt, was uns wieder zur Ausgangsfrage zurück führt: wie soll man also kämpfen?

Grundprinzipien der Konfliktbewältigung

  • Alle Konflikte, alles was ich als Konflikt betrachte, beginnt in mir. Das heißt, ich selber erlebe es in meinem Körper und meinem Geist.
    In der Praxis bedeutet dies:
    Das Erste was ich lernen muss ist, mich selbst zu zentrieren und eine ruhige, wache Haltung entwickeln.
  • Wenn tatsächlich ein Angriff kommt, nimm es nicht persönlich.
    In der Praxis bedeutet dies:
    Nichts persönlich zu nehmen heißt: erstarre nicht, blockiere nicht, „fahr nicht deine Stacheln aus”, nimm keine starre Abwehrhaltung ein, sondern wenn der Angriff kommt, positioniere dich so, dass du nicht getroffen wirst.
  • Werde eins mit deinem Gegner, so dass er nicht mehr Gegner sondern Partner ist.
    In der Praxis bedeutet dies:
    Verschmelze mit dem anderen, schaffe eine Verbindung die dich schützt und gleichzeitig die Perspektive des anderen annimmt und respektiert.
  • Wenn nötig, korrigiere sanft, so dass am Ende beide in einer guten Position sind.
    In der Praxis bedeutet dies:
    Übernimm die Kontrolle auf eine
    Weise, so dass der andere nicht verletzt oder gedemütigt wird.
  • Und: Übernimm die volle Verantwortung für die Ergebnisse Deines Handelns.

Die größte Herausforderung ist der Kampf mit dem eigenen Charakter, besonders die eigenen aggressiven Tendenzen, der Drang andere dominieren zu wollen. Dieser destruktive Drang kommt bei jedem Menschen je nach Situation mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck. Nur wer sich selbst im Spiegel seiner Mitmenschen erkennt, wer auch das Unliebsame oder Verwerfliche in anderen als Aspekte seiner selbst sieht und annimmt, kann ein wahres und standhaft positives Wissen um sein eigenes Wesen entwickeln.

Was folgt daraus für das Aikido-Training?

Traditionell gibt es in einem Dojo eine klare Aufgabenverteilung: es gibt die Rolle des Lehrenden (jap. Sensei) und die des Schülers. Der Lehrer zeigt, demonstriert, erklärt und der Schüler versucht, die Erklärungen aufzunehmen und umzusetzen. Erklärungen sind schon eine gewisse Modernisierung – ursprünglich verzichtete man auf verbale Ausführungen völlig und der Schüler musste den Lehrer gut beobachten und selber herausfinden, was gerade vermittelt werden sollte. Das mag in Zeiten auch funktioniert haben, in denen der Schüler im Dojo des Lehreres lebte und täglich kaum etwas anderes tat als zu trainieren. Heute ist das sicher nicht mehr der Fall weil sich die Lebensumstände doch deutlich von früher unterscheiden.

Traditionell gibt es in einem Dojo eine klare Aufgabenverteilung: es gibt die Rolle des Lehrenden (jap. Sensei) und die des Schülers. Der Lehrer zeigt, demonstriert, erklärt und der Schüler versucht, die Erklärungen aufzunehmen und umzusetzen. Erklärungen sind schon eine gewisse Modernisierung – ursprünglich verzichtete man auf verbale Ausführungen völlig, und der Schüler musste den Lehrer gut beobachten und selber herausfinden, was gerade vermittelt werden sollte. Das mag in Zeiten auch funktioniert haben, in denen der Schüler im Dojo des Lehreres lebte und täglich kaum etwas anderes tat als zu trainieren. Heute ist das sicher nicht mehr der Fall, weil sich die Lebensumstände doch deutlich von früher unterscheiden.

Die Frage ist ja eigentlich erst einmal: Wer interessiert sich denn in der heutigen Zeit, mit unendlich vielen Freizeitangeboten, für eine so spezielle Disziplin wie Aikido? Warum also soll jemand Aikido praktizieren?

Vermutlich fangen die meisten Menschen nicht mit besonders hoch gesetzten Zielen oder großen spirituellen Erwartungen an. Häufig sind sie auf der Suche nach einem besseren Selbstwertgefühl, nach mehr innerer Sicherheit und besserem Umgang mit Konflikten im Alltag. Sie suchen Wege, mit inneren und äußeren Konflikten umzugehen. Daher ist es angebracht, explizit die Prinzipien der Konfliktbewältigung zu vermitteln. Die verschiedenen Techniken und Bewegungsabläufe werden dann immer, soweit wie möglich, auf die Grundprinzipien bezogen. Die Grundprinzipien sollen in einer einfachen und leicht verständlichen Sprache vermittelt werden.

Aikido hat auch von außen betrachtet etwas Faszinierendes, auch wenn wir meist nicht genau sagen können, worin diese Faszination eigentlich liegt. Sicher, es sieht leicht, manchmal tänzerisch oder vielleicht auch ein wenig akrobatisch aus. Aber auf jeden Fall macht es neugierig, und am Anfang reicht diese Neugier aus, um etwas Neues auszuprobieren. In dieser Anfangsphase ist es wichtig, dass der Übende Freude und Spaß dabei empfindet, und dass er/sie während und auch nach dem Training, im Körper ein gutes, ausgeglichenes Gefühl hat.
Wenn dies geschieht, wird das reichen, um den Menschen zu motivieren, regelmäßig zu trainieren. Aber, mit der Zeit sollten alle Übenden jeden Alters mit Fragen von Selbsterkenntnis und der Bedeutung von innerlichen und äußerlichen Konflikten bewusst in Kontakt gebracht werden.

[Christian Räuschel]

 

Willkommen auf der Internet-Seite des Shoshin Aikido Limburg/Diez e.V.